Wann haben Sie damit begonnen, Kunst zu sammeln?
Ich hatte schon früh Interesse an der Kunst, besuchte viele Ausstellungen und entwickelte schnell eine große Leidenschaft dafür. Als ich 11 Jahre alt war, kaufte ich ein italienisches Gemälde aus dem 18. Jahrhundert für den Preis eines neuen Fahrrads. Die jungen Leute bauten sich zum ersten Mal eigene Häuser und zogen später nicht ins Elternhaus. So kam es dazu, dass viel alte Kunst aus den leer geräumten Häusern ohne irgendeine Voruntersuchung zu Spottpreisen auf den Markt geworfen wurde.

Wahrscheinlich haben Sie Kunst damals auf eine andere Art und Weise betrachtet. Wie hat sich Ihre Kunstauffassung geändert?  
Die tägliche Suche nach Kunst führte mich schon als Kind schnell in die Welt der Erwachsenen, deshalb tauschte ich bereits sehr früh meine Lesebücher gegen Kunstbücher ein. Ich entdeckte, dass es Kunst ohne Anarchie wohl nie gegeben hätte! Ich machte mich mit der Kunstgeschichte vertraut, verstand die Erneuerer und suchte nach der Daseinsberechtigung eines Künstlers und seiner Strömung. So prägte die moderne Kunst mein Leben.

Können Sie uns einige wichtige Aspekte nennen, die man Ihrer Meinung nach als Kunstsammler berücksichtigen sollte? 
Man muss lernen, das Wort „Kunst” zu analysieren! Nur weil jemand malt, ist er noch lange kein Künstler. Wenn jemand malt oder man bildhauert, ist das in unserer Kultur an sich schon eine schöne Sache. Als Kunstsammler kaufst du aber nicht das, was du schön findest, sondern das, was dich fasziniert. Man lebt sich ein in die Sprache einer neuen Generation und versucht den Inhalt eines Kunstwerks – das Warum – von innen heraus zu verstehen. Die Antwort auf diese Frage ermöglicht es dann, zu berechnen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass das entsprechende Kunstwerk den Geschmack einer neuen Generation überlebt, der nie und nimmer dem Geschmack der vorigen Generation entsprechen wird. Genau deshalb kann man sich aktueller Kunst niemals mit Begriffen wie Schönheit oder Geschmack nähern. Es ist eine neue Sprache, die man erst lernen muss, bevor man ihr einen aktualisierten intellektuellen Schönheitswerk zusprechen kann! Der Mäzen untersucht die Existenz eines Werks an der Basis und hilft dann dem Objekt seiner Leidenschaft zu überleben! Ein guter Sammler begreift, dass ein Künstler nicht das schafft, was er sieht, sondern das, was er denkt!

Ein Sammler lässt sich nicht auf emotionale Schönheitswerte ein, er sucht nach dem internationalen bis universalen Charakter eines Kunstwerks. Schönheit kann weder definiert werden, noch hat sie eine Geschichte. Nur die Geschichte der Erneuerung lässt sich aufzeichnen. Die eventuell darin gefundene Schönheit kann ihre Wahrheit immer nur im Rahmen einer individuellen Betrachtung finden. Das ist auch der Grund dafür, dass „der Populismus” in der Kunst am vergänglichsten ist und überhaupt keinen Wert für einen bewussten Sammler hat! Populismus ist vorübergehend und hat eine Überlebenswahrscheinlichkeit von maximal einer Generation. Das bezeichne ich dann als Generationskunst!

Bei einer guten Investition verlässt man sich nicht auf die „Ohren“!

Sie haben eine große Leidenschaft für die Kunst und viel Freude an hochwertigen Kunstwerken, sind aber auch Kunsthändler. Was halten Sie von Kunst als Investition? Ist es auch (jüngeren) Menschen mit weniger Kapital möglich, in Kunst zu investieren?  
Man sollte zuerst begreifen, dass es einem intellektuellen Dialog mit der Zeit gleichkommt, „Kunst zu erleben”. Kunst sozialisiert und ist eigentlich ein fließender Begriff, der weltweit eine universale Sprache verkündet – mehr nicht! Wer das erkennt und akzeptiert, gewährleistet ihr Dasein, wem jedoch diese Erkenntnis fehlt, der versteht ihre Defizite nicht. Einerseits ist da die Kunstszene und anderseits ein viel zu flotter Kunsthandel. Das sind zwei verschiedene Welten. Aus diesem Grund gibt es Kunst für jeden Geldbeutel, abhängig vom wahren Geist, mit dem man sich ihr öffnet.

Bei einer guten Investition beruft man sich nicht auf die „Ohren“, ohne vorher die Augen trainiert zu haben, bzw. anders ausgedrückt: Es ist viel wichtiger zu wissen, was man besser nicht kauft, als was man kauft! Gute Kunst ist nie die Ursache von Abstumpfung, die Eliminierung des Populismus ist da schon ein guter Anfang. Bei der Wahl von Kunst frönt man auch besser der „Unvorhersehbarkeit”, die einen größeren Wert hat als das sogenannte „Vorwissen“, das einige für sich in Anspruch nehmen, nur weil sie beispielsweise eine ganz bestimmte Funktion ausüben. Ein Spitzensammler lernt vor allem, sich bescheiden zu verhalten und als Teil eines Größeren zu verstehen. Das ist das große Geheimnis! Wer sein „Wissen” nicht kurz außen vor lässt und die Inkubation des Unbekannten ermöglicht, kann sich schnell irren. Um das Richtige hinter der Kunst zu entdecken, muss man lernen, nackt zu denken!

Ein guter Kunstsammler meidet den Populismus. Er hört seiner Zeit zu und weist auf den Künstler hin, der die Sprache von morgen zum Ausdruck bringt.

Wir hören oder lesen ab und zu etwas über enorm hohe Preise auf dem Kunstmarkt. Inwieweit sind diese Preise berechtigt?
Es besteht ein großer Unterschied zwischen der Kunstwelt und dem Kunstmarkt, das sollte man nie vergessen. Die Preise für historische Kunstwerke beruhen auf ihrer universalen Seltenheit, der Kunstmarkt hingegen kann Preise manipulieren. Die universale historische Kunst befindet sich in Museen und bei guten Privatsammlern. Wenn Millionen Euros für einen Picasso bezahlt werden, kann man diesen Preis schon als ehrlich betrachten: Angebot und Nachfrage bestimmen den Markt. Notiert man den gleichen Preis jedoch für einen zeitgenössischen Künstler, sollte man nicht unüberlegt damit umgehen. Noch nie zuvor war es so einfach, den Wert aktueller Kunst zu beeinflussen. Da sind die vielen Computer, auf denen allerlei Informationen manipuliert werden können, die sozialen Medien, die Verführung durch die Presse, die Auktionen mit eigensinnigen „low and high estimates”: Unsere digitale Welt kann einen blinden Käufer zu allem bewegen.

Es ist klar, dass Sie der Kunstgeschichte große Aufmerksamkeit schenken, aber wie betrachten Sie die zeitgenössische Kunst? Gibt es dort bestimmte Tendenzen oder spezifische Künstler, die Sie besonders interessieren?
Meine Sammlung besteht aus Dreiviertel moderner Kunst und einem Viertel aktueller Kunst. In diesem Verhältnis biete ich auch Kunst in meiner Galerie an. Seit 2000 sammle ich chinesische Kunst der Dissidenten, und zwar noch bevor Xi Jinping es schwieriger machte, Werke dieser Art über die Grenze zu bringen. Nach dem Sammeln von James Ensor, Francis Picabia, René Magritte, Paul Klee, Yves Klein… aus der Ecole de Paris folgte ich der American School (Andy Warhol, David Hockney, Frank Stella, Sol LeWitt, Keith Haring, ….). Heute ist China als neue Wirtschaftsmacht wichtig und damit auch das dritte „Mekka” der Kunstgeschichte. Xioagang Zhang, Liu Wei, Dali Zhang, The Gao Brothers, Huan Zhang sind einige Beispiele dafür. Aufgrund einer moralischen Schmerzgrenze kaufe ich nie, was mich direkt verführt. Ich kaufe am liebsten Werke, deren Existenz ich bereit bin zu begreifen und sie daher für meine Sammlung als unentbehrlich zu betrachten. Der Begriff Kunst an sich ist meines Erachtens unveränderlich. Auch deshalb muss zeitgenössische Kunst durch Innovation ihren Platz in der Kunstgeschichte erobern. Es verhält sich dabei so wie bei Eltern, die erst die Generation ihrer Kinder verstehen müssen, um gemeinsam weiterleben zu können. Eigentlich ist es überhaupt nicht so schwer, „aktuelle Kunst” akzeptieren zu lernen: Man tut einfach, was die Zeit von einem verlangt: Man hört ihr zu.

Haben Sie in Ihrer Sammlung ein Lieblingswerk? Um welches Werk handelt es sich und warum? 
Obwohl ich ein großer Fan von Andy Warhol bin und vielen Museen zu guten Werken für ihre Ausstellungen verhelfe, lautet meine Antwort auf Ihre Frage doch „aktuelle Kunst”. Mein Favorit ist die „Execution of Christ” von den Gao Brothers, ein monumentales Kunstwerk, das ein Erschießungskommando bestehend aus lebensgroßen geklonten Maos zeigt, die ihre Gewehre auf Christus richten. Es ist wahrscheinlich das am stärksten anti-maoistische Kunstwerk, das ein dissidenter Künstler in China je zu schaffen gewagt hat. Es stammt von den Gao-Brüdern, deren Vater als Aktivist vom Mao-Regime ermordet wurde. Die Ausstellung des Werks wurde von der chinesischen Regierung verboten. Aufgrund dieser politischen Entscheidung haben viele westliche Länder die Gao-Brüder eingeladen, ihr Werk in ihren Museen auszustellen. Zeitgenössische Kunst und Anarchie sind untrennbar miteinander verknüpft, das erzählen uns bereits Werke wie Die Freiheit führt das Volk, 1830 (Eugène Delacroix), Die Hinrichtung Maximilians, 1868 (Edouard Manet) und Guernica, 1937 (Pablo Picasso). Genau dieser intellektuelle Fortschritt macht die Welt der Kunst so faszinierend und visionär.

Aktuelle Kunst hat nichts – wirklich nichts – mit der Schönheit der geebneten Pfade von gestern zu tun. Ein guter Kunstsammler meidet den Populismus. Er hört seiner Zeit zu und weist auf den Künstler hin, der die Sprache von morgen zum Ausdruck bringt.